Ricoh

Das Ende von Franco

Ausgabe-Nr.: 4/
2018

Unter vielen Mitarbeitern in der deutschen Vertriebsgesellschaft des japanischen Konzerns keimt neue Hoffnung auf: Die Ära der Geschäftsführung von Niculae Cantuniar, so eine Spekulation, scheint sich dem Ende zu nähern. Ein Indiz für diese Sichtweise spricht immerhin für sich: Im Londoner Ricoh-Headquarter wurde ein Top-Manager mit dem Spitznamen ‚Franco‘, unter anderem als Kettenhund für das Deutschland-Geschäft immer wieder von der Leine gelassen, von seinen Aufgaben entbunden.

 

Enrique Calabuig, Top-Manager im Londoner Headquarter von Ricoh Europe Ltd., ist von seinen Aufgaben entbunden und freigestellt. Obwohl sich der Vorgang vor bereits rund 14 Tagen ereignete, ist die Nachricht innerhalb der europäischen Ricoh-Organisation noch nicht weit vorgedrungen und daher nur wenigen Mitarbeitern bekannt. Wir vermuten, dass die Geschäftsführung noch über die Modalitäten einer Vertragsbeendigung oder einer anderen Verwendung verhandelt und erst nach einem Ergebnis mit der Personalie Calabuig an die Öffentlichkeit tritt.

Der inzwischen in Ungnade gefallene COO-Manager war die rechte Hand von Europa-Chef David Mills. Calabuig wird innerhalb der Company als „Emporkömmling“ (ursprünglich IT-Manager, dann Finanzen) betrachtet und man sagt ihm einen völlig übertriebenen Ehrgeiz nach. Er schaffte es immerhin, aus London heraus an den Fäden zu ziehen und durch seine Machtposition das Management der europäischen Vertriebsgesellschaften gegen sich aufzubringen. Als sich abzeichnete, dass sich die Japaner aus dem Board in London zurückziehen werden, holte ihn Mills, dem viele seiner Mitarbeiter ohnehin nur eine eingeschränkte Kompetenz zubilligen, zu sich in die Zentrale.

Auf die deutsche Gesellschaft übte er einen besonderen Druck aus

Diese Entscheidung erwies sich wie viele andere im englischen Imperium als ausgesprochen kontraproduktiv. „Ich habe zusammen mit meinen Kollegen aus den anderen europäischen Vertriebsgesellschaften diverse Meetings erlebt, nach deren Ende wir über sein Auftreten und sein Benehmen nur noch den Kopf schütteln konnten“, beschreibt uns ein Ricoh-Teilnehmer die ‚gelöste Arbeitsatmosphäre‘ unter der „Axt im Walde“.

Ein anderer Gesprächspartner berichtet: „Calabuig kehrte gegenüber den Chefs der Landesgesellschaften die ‚wilde Sau‘ heraus. Kurze Zeit nach Amtsantritt war er so verhasst wie kaum ein anderer Manager aus dem Vorstand. Mills selbst, von vielen nicht gerade super kompetent bewertet, hielt sich mit den Aktionen seines Kettenhundes schlauerweise immer im Hintergrund.“ Die Arbeit mit Druck und Drohungen, so interne Beobachter, geriet auf europäischer Ebene zu Calabuigs Markenzeichen. Der gebürtige Spanier war ehemals CEO der Ricoh España und für einige Zeit gleichzeitig CEO der Ricoh France. In seiner Zeit in Paris klebten ihm Ricohianer wohl nicht ohne Grund mit Blick auf den spanischen Diktator das Etikett „Franco“ auf die Stirn. – Da scheint der Name wohl das Programm gewesen zu sein.

Aus der spanischen Zeit von Franco ist zu hören, dass man dort außerordentlich erleichtert war, als man von ihm erlöst wurde. Denn nirgendwo war die Unzufriedenheit der Mitarbeiter so groß wie im Land der Iberer. Die katastrophale Stimmung in Spanien war in London wohl bekannt und wurde über Jahre hinweg auch ohne Reaktionen beobachtet. „Da fragt man sich, wie eine solche Performance auch im Hinblick auf die enttäuschenden Geschäftszahlen am Ende zu derartiger Promotion führen kann. Oder das Ganze folgt einer anderen Logik. Aber jetzt können die Mitarbeiter heilfroh sein, dass diese Fehlbesetzung aus dem Dorf gejagt wird“, bewertet ein Ricoh-Beobachter den Karriere-Einbruch von Calabuig.

Auf die deutsche Gesellschaft übte der Spanier einen besonderen Druck aus. Legendär waren seine Meetings, die er in Hannover abhielt. Dort wurde angeblich in den Sitzungen beleidigt und gemobbt, wobei Calabuig mit seinen Angriffen offenbar maßlos überzog. Kaum verwunderlich, dass das überaus schlechte Image nach Meinungen in der Mannschaft auch auf Mills zurückfällt. „An der Spitze der Unfähigen in der europäischen Organisation herrscht eine Mentalität der Selbstbedienung. Frei nach dem Motto ‚Nach uns die Sintflut!‘“, erregt sich ein Ricoh-Mitarbeiter am INFO-MARKT-Telefon. – Offensichtlich, so unsere Interpretation der Personalveränderung, ist Mills und seinen Vorgesetzten in der Ricoh-Zentrale in Tokio angesichts dieser unglaublichen Interna das Sushi & Sashimi so im Halse stecken geblieben, dass die Uhr für Calabuig zum Stillstand kam.

Offensichtlich wird es immer schwerer, die tickenden Zeitbomben unter Kontrolle zu halten

Firmen-Kenner bewerten seine Degradierung/seinen Abgang daher als ein „Bauernopfer“, das Mills seinem japanischen Chef Yamashita vor die Füße legt. Ob er sich damit letztendlich aus der Verantwortung für die desolate Entwicklung in Europa, vor allem im deutschen Markt, ziehen kann, bleibt abzuwarten. Interessant in Zusammenhang mit unseren Recherchen ist der Einblick in eine ‚spezifische Unternehmenskultur‘, die für Außenstehende sicherlich jenseits aller Vorstellungskraft ist.

Durch das Missmanagement in einzelnen Landesgesellschaften steht die Konzernführung schon seit längerem mit dem Rücken an der Wand und kann offensichtlich die tickenden Zeitbomben immer schwerer unter Kontrolle halten. Im letzten Jahr ließ Ricoh-CEO Yoshinori Yamashita die indische Niederlassung in die Insolvenz gehen (-> INFO-MARKT Nr. 47/2017).

Im Herbst 2017 sah sich Tokio zudem gezwungen, die Gewinnprognose für das laufende Geschäftsjahr 2017/18 fast zu halbieren. Statt mit 18 Milliarden Yen (ca. 135 Millionen Euro) plante das Management seinerzeit für das laufende Geschäftsjahr nur noch einen operativen Gewinn von zehn Milliarden Yen ein, wodurch die Gewinnmarge auf 0,5 Prozent schrumpft.

Die Muttergesellschaft muss für viele Fehler in den Tochtergesellschaften geradestehen und die Verluste aus den Auslands-Märkten begleichen. Eine gefährliche Situation, denn jeder Yen, der bei den Gewinnen fehlt, schränkt den Freiraum für dringend notwendige Investitionen ein. Wie dramatisch die Situation inzwischen ist, zeigt der aktuelle Drei-Jahresplan „Ricoh Resurgent“ (deutsch: „Wiederauferstehung Ricohs“) und der offizielle Bruch mit den Zielen und Strategien seines Vorgängers Zenji Miura. Ricoh stehe vor der größten Krise aller Zeiten, räumte Yamashita im letzten Jahr gegenüber der japanischen Presse ein.

Auch für Deutschland, den wichtigsten Markt in Europa, steht sehr viel auf dem Spiel. Der Jahresabschluss 2017/18 (31. März) endete nach den Angaben unserer Informanten einmal mehr mit roten Zahlen. Allerdings im Vergleich zu den Ergebnissen des Vorjahres mit einem deutlich geringeren Minus. Die Erklärung: Der Personal- und Kostenabbau schlägt sich naturgemäß im Ergebnis nieder. Doch der Verlust von Marktanteilen wird mit Sicherheit sehr tiefe Schneisen in die Ricoh-Burg in Hannover geschlagen haben und dürfte die Mitbewerber daher zu weiteren schmerzhaften Attacken animieren.

Aber die personelle Veränderung in London dürfte in der Mannschaft in Hannover neue Hoffnung aufkeimen lassen. Denn in der Landeshauptstadt wird mit hochsensiblen Antennen jede kleinste Veränderung registriert. Beispielsweise die bisher noch nicht erfolgte Nachricht, dass der Vertrag von Deutschland-Chef Cantuniar, der bis zum 30. September dieses Jahres befristet ist, verlängert wird. Üblicherweise hätte diese Meldung vier Monate vor Ablauf der Frist schon längst erfolgen müssen.

 

 

 

Ricoh-Europa-Chef David Mills: Ob er sich mit Bauernopfer Calabuig letztendlich aus der Verantwortung für die desolate Entwicklung, vor allem im deutschen Markt, ziehen kann, bleibt abzuwarten.

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